
Es gibt Abende im Madison Square Garden, an denen das Licht so klar fällt, dass man fast meint, den Staub über dem Eis tanzen zu sehen. Und doch ist es gerade dort, im sogenannten „Mecca of Hockey“, seit Wochen merkwürdig still. Zu still. Die New York Rangers haben etwas geschafft, das man in einer Liga, die so besessen von Offensivzahlen und Advanced Metrics ist, kaum für möglich hielt: Sie sind das erste Team in der Geschichte der NHL, das seine ersten drei Heimspiele einer Saison komplett ohne eigenes Tor beendet hat.
Was sich liest wie eine Fußnote für Statistiknerds, ist in Wahrheit ein Symbol für das Dilemma eines Traditionsklubs, der zwischen Anspruch und Gegenwart feststeckt.
Historischer Tiefpunkt mit Ansage
Seit dem 14. Oktober steht der Rekord schwarz auf weiß: Kein aktives NHL-Team hat jemals einen derart torlosen Start auf heimischem Eis hingelegt. Die Rangers übertreffen damit sogar die Florida Panthers 2001/02, die damals 155 Minuten und 17 Sekunden ohne Heimtor blieben. Die Rangers haben diese Marke längst pulverisiert. Mehr als 180 Minuten Schweigen im Garden ein surrealer Wert für ein Team, das sich offensiv eigentlich nicht verstecken muss.
Die einzige Gesellschaft in dieser Statistik stammt aus dem Archiv der Hockey-Frühzeit: Die Pittsburgh Pirates (ja, so hießen sie wirklich) hielten 1928/29 den Allzeitrekord mit 187 Minuten und 19 Sekunden ohne Treffer. Doch die Pirates sind Geschichte – und damit gehört der traurige Rekord ab sofort den Rangers allein.
Woran liegt’s, wenn’s nicht läuft?
Die Zahlen sind so widersprüchlich wie die Körpersprache des Teams:
Im Saisonverlauf kommen die Rangers im Schnitt auf 2,0 Tore pro Spiel kein Elitewert, aber auch kein Krisenindikator. Ihre Team-Shooting-Percentage liegt bei 8,1 %, was klar unter dem Ligadurchschnitt (meist um 10–11 %) liegt. Das bedeutet: Chancen sind da, nur das Zielwasser fehlt.
Das Powerplay sonst Lebensversicherung eines talentierten Kaders dümpelt mit 14,3 % Erfolgsquote herum, was eher nach Mittelmaß als nach Madison Square Garden klingt. Besonders bitter: Selbst in Überzahl gelingt es nicht, den gegnerischen Goalie aus dem Konzept zu bringen.
Dabei mangelt es weder an Struktur noch an Kreativität: Das System von Coach Peter Laviolette basiert auf Puckbesitz, Bewegung und konstantem Druck aus der Tiefe. Doch irgendwo zwischen Adam Fox’ blauen Linienpässen und Chris Kreiders berüchtigten Tip-Ins verliert sich der Puck im Niemandsland der Zone.
Ein Fluch, der aus Mustern besteht
Was hier passiert, ist kein Mysterium, sondern eine Mischung aus statistischer Varianz und psychologischer Lähmung. Nach drei torlosen Heimspielen steckt man nicht nur in einer Ergebniskrise, sondern auch in einer mentalen.
Ein einfacher Blick auf Wahrscheinlichkeiten zeigt, wie unwahrscheinlich die Serie eigentlich ist:
Bei einem Schnitt von zwei Toren pro Spiel liegt die Chance, einmal ohne Treffer zu bleiben, bei rund 13,5 %. Dasselbe dreimal in Folge? Nur noch etwa 0,25 %. Oder in anderen Worten: Es müsste über 400 Saisonstarts dauern, bis das rein zufällig wieder passiert.
Doch Hockey ist keine Würfelsimulation. Wenn ein Team merkt, dass es trotz Chancen nicht trifft, verändert sich das Spiel. Schüsse werden zu schnell abgegeben, Passwege zu riskant gewählt, und selbst erfahrene Spieler verlieren das Gefühl für das, was Psychologen „unbewusste Kompetenz“ nennen das Handeln ohne Nachdenken.
Im Madison Square Garden spielt derzeit ein Team, das zu viel nachdenkt.
Das Publikum zwischen Frust und Faszination
Niemand leidet schöner als die Fans der Rangers. New York ist eine Stadt, die sich an Drama gewöhnt hat, und der Garden war immer schon Bühne für beides: Triumph und Tragödie. Die Pfiffe nach dem dritten torlosen Heimspiel waren laut, aber nicht hasserfüllt eher eine Mischung aus Ratlosigkeit und Trotz.
Viele Anhänger verweisen auf die Parallelen zu den Florida Panthers 2001/02, einem Team, das ähnlich hochbegabt, aber völlig aus der Balance geraten war. Doch die Rangers von heute haben im Gegensatz zu damals eine solide Defensive, eine stabile Goalie-Situation mit Igor Shesterkin und vor allem: Tiefe im Kader.
Was fehlt, ist der Funke. Oder wie es ein Fan nach dem 0:3 gegen Edmonton formulierte: „Wir spielen wie ein gutes Jazz-Ensemble ohne Solist.“
Kleine Anzeichen der Wende
Es gibt Argumente für Optimismus. Trotz aller Torflaute generieren die Rangers konstant High-Danger-Chancen (laut Natural Stat Trick rund 11 pro Spiel, also im oberen Drittel der Liga). Das bedeutet: Das Fundament stimmt.
Auch der Expected-Goals-Wert (xG) pro Spiel liegt mit 2,85 deutlich über der realen Torausbeute. In der Sprache der Statistik: Diese Serie ist nicht nachhaltig. Früher oder später fällt der Puck rein und oft kommen die Tore dann in Wellen.
Viele Trainer würden in so einer Phase die Linien komplett umstellen oder das System kippen. Laviolette aber bleibt ruhig. Er vertraut darauf, dass das Spiel, das auf lange Sicht zu Toren führen sollte, das auch wieder tun wird.
Es ist eine riskante Wette aber vielleicht genau die richtige.
Das größere Bild
Jenseits der reinen Zahlen offenbart die aktuelle Situation auch etwas über die Natur des modernen Eishockeys: Die Balance zwischen Geduld und Aktionismus. In einer Liga, in der Daten jede Entscheidung begleiten, kann Statistik leicht zum Fluch werden. Man weiß, dass eine Durststrecke irgendwann enden muss aber man spürt sie trotzdem, Schuss für Schuss.
Vielleicht ist das die eigentliche Ironie dieser Rangers-Serie: Ein Team, das analytisch betrachtet alles richtig macht, scheitert an der einzigen Größe, die sich nicht modellieren lässt Zufall.
Und so schreiben die Rangers Geschichte, ohne es zu wollen. Kein Skandal, kein Debakel nur ein leises, fast poetisches Scheitern im hellsten Scheinwerferlicht der NHL.
Was nun?
Die gute Nachricht: Solche Serien halten nie ewig. Und wenn der Bann erst bricht, wird der Jubel im Garden laut sein nicht, weil ein Sieg bevorsteht, sondern weil die Stille endet.
Die Rangers stehen gerade da, wo große Teams immer mal landen: am Schnittpunkt zwischen Kontrolle und Chaos. Und vielleicht braucht es genau diesen Moment der Leere, um sich daran zu erinnern, warum Tore überhaupt etwas bedeuten.
Denn im Eishockey wie im Leben ist manchmal das Lauteste, was man hören kann, das Geräusch eines einzigen Schusses, der endlich den Weg ins Netz findet.


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